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Serie "Meine besten Geschichten", Teil 10: die iranische Ärztin

 Ich bin jetzt bald genau 15 Jahre im Lokaljournalismus. Ein Jubiläum, das mich sehr stolz macht. Ich habe in dieser Zeit jede Menge erlebt, unzählige Termine gehabt, viele Menschen getroffen und vor allem: ganz viele Artikel geschrieben. Es sind über 10.000 geworden... Eine enorme Zahl, die mein Archiv groß werden lässt. Es sind darunter unheimlich starke und spannende Geschichten, die es lohnen, nochmal erzählt zu werden. Für „Münster täglich“ krame ich ein bisschen in diesem Archiv und hole die besten Geschichten aus fünfzehn Jahren nochmal hervor. Die gibt’s jetzt ab sofort in der neuen Serie „Meine besten Geschichten“ zu lesen: www.muenster-taeglich.de. Weiter geht’s mit Folge 10 und der iranischen Ärztin Amineh Marvani.


ALBACHTEN. Wenn Amineh Marvani an den Iran denkt, dann denkt sie an die Sterne dort, an den Nachthimmel, den sie als Kind sah. Sie ist in der Stadt Ahvaz geboren, einer Metropole am Persischen Golf. Heute ist Marvani Ärztin in Albachten. Am Mittwochabend sprach sie auf Einladung der kfd St. Ludgerus im Pfarrheim über „Mein Leben in Deutschland“. Sie sagt: „Integration ist, wenn man auf Deutsch träumt. 

Die iranische Ärztin Amineh Marvani sprach über ihr Leben. Foto: Siegmund Natschke.

Sie ist eine beliebte Ärztin“, sagte eine Albachtenerin im Publikum. Das zeigte sich schnell: Über 100 Zuhörer kamen, bis ins Foyer hinein mussten Stühle aufgestellt werden. Hatte Marvani mit dem Andrang gerechnet? „Ehrlich gesagt, ja“, sagte sie lächelnd.

1987 kam sie nach Deutschland, um hier Medizin zu studieren. „Mein jüngster Bruder ist an Leukämie verstorben“, sagte sie, da habe sie den Entschluss gefasst, Ärztin zu werden. Wichtig sei, dass man ein Ziel habe. Ein Satz, den ihr Vater ihr mitgab, habe ihr am meisten in Deutschland geholfen: „Ich glaube an Dich.“ Ihr erster Flug überhaupt ging nach Frankfurt am Main, von dort aus fuhr sie nach Aachen, wo ein Onkel von ihr wohnte. Jeden Tag gab es neue Eindrücke: „Abends ist man platt.“

Vor dem ersten Einkauf habe sie die ganze Nacht nicht schlafen können. Einen Satz hatte sie sich vorher mühsam zurechtgelegt: „Ich möchte bitte ein Brötchen.“ Doch sie legte unbedingten Wert darauf, schnell Deutsch zu lernen. Nach zwei Wochen habe sie schon alleine zum Arzt gekonnt. Sie lernte die Sprache intensiv auch an einem Studienkolleg, so dass sie schließlich das Studium der Medizin aufnehmen und erfolgreich abschließen konnte. Die beruflichen Stationen führten Marvani quer durch die Bundesrepublik, sie war in Düren, Singen (Baden-Württemberg), Bielefeld, Garzweiler, und schließlich ging es nach Bayern. Dort, im Süden der Republik, werde sie es schwer haben, sei ihr vorher gesagt worden. Doch die Leute waren herzlich, und nur eines fiel ihr tatsächlich nicht so leicht: „Ich musste wieder eine neue Sprache lernen.“ Bayerisch.

Schließlich führte ihr weiterer Weg nach Lüdinghausen: „Da war ich zum ersten Mal müde.“

Vielleicht kam die Gelegenheit gerade Recht, sich in Albachten für längere Zeit niederzulassen. Hier übernahm sie nämlich vor zwei Jahren eine Hausarztpraxis. „In Albachten wird mir Respekt und Vertrauen entgegengebracht.“ Marvani hat vier Kinder, die in Deutschland geboren sind. Der Iran sei für sie keine Heimat mehr, sagte die Ärztin, die jetzt auf Deutsch träumt. Sie wisse aber auch: „Mir ist die Integration leichtgefallen, weil ich das Glück hatte, die richtigen Menschen kennenzulernen.“ Integration brauche Zeit und Geduld. Alleine, so glaubt sie, schaffe das keiner: „Es braucht eine Hand, die ausstreckt und eine die sie annimmt.“


(C) Siegmund Natschke

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