MÜNSTER. „Das ist betreutes Lesen!“, schimpft ein Nutzer der Stadtbücherei. Gerade hat er sich hier einige Bücher ausgeliehen, doch als er sich den Lesestoff genauer ansieht, traut er seinen Augen nicht. In einem Band hat die Stadtbücherei einen kleinen Aufkleber angebracht, der es in sich hat. Es handelt sich nämlich um nichts anderes als um einen Warnhinweis.
Folgender Text steht auf dem Aufkleber: „Der Inhalt dieses Werkes ist unter Umständen nicht mit den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft vereinbar".
Starker Tobak. In bisher zwei Bücher hat die Stadtbücherei diese Bemerkung reingeklebt. Betroffen sind die Titel „Putin, Herr des Geschehens?“ von Jacques Baud, das den Ukraine-Krieg thematisiert, und „2024 – das andere Jahrbuch: verheimlicht, vertuscht, vergessen“ von Gerhard Wisnewski. Beides sind Bestseller, entsprechen aber nicht dem herrschenden politischen Meinungsbild, sondern sind eher dem Umfeld der boomenden alternativen Medien zuzuordnen.
Die Stadtbücherei Münster gibt umstrittene Warnhinweise. Foto: Siegmund Natschke.Was soll aber dieser Warnhinweis mit dem Verweis auf die Demokratie, und wer hat den Anstoß dazu gegeben? „Münster täglich“ hat nachgefragt.
„Im Lektorats-Team der Stadtbücherei wird ein Kontextualisierungshinweis beispielsweise dann geprüft, wenn ein Titel in den Medien besonders kontrovers besprochen wird, oder wenn es Bitten um Prüfung aus der Nutzerschaft gibt.“, heißt es von Seiten der Stadt. Also nur ein „Kontextualisierungshinweis“, eine Hilfe zur Einordnung?
„Nein, das ist Zensur!“, meint unser Stadtbücherei-Nutzer wütend. Er glaubt, dies sei ein Versuch, die Leser einzuschüchtern. Der Fall hat Wellen geschlagen. Nun meldet sich schon die Landespolitik zu Wort. Yvonne Gebauer, kulturpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, wertet die Praxis „als "Angriff auf die Meinungsbildung". Sie sei „Ausdruck einer bedenklichen Tendenz, die Mündigkeit der Bürger zu untergraben und öffentliche Einrichtungen zu Instrumenten moralischer Bevormundung umzufunktionieren", sagt sie in einer Mitteilung.
Hat denn die Stadtbücherei wenigstens die betroffenen Autoren verständigt, etwa um eventuelle inhaltliche Missverständnisse auszuräumen? „Dafür besteht aus Sicht der Stadtbücherei kein Grund.“, heißt es von dort.
Gerhard Wisnewski ist einer der betroffenen Autoren. Offenbar hat er nun juristische Schritte eingeleitet. Er sagt auf „Münster täglich“-Anfrage: “Ich kann Ihnen mitteilen, dass die Angelegenheit derzeit gerichtlich überprüft wird und ich mich im Vorfeld einer Entscheidung nicht äußern möchte.“
Fortsetzung folgt offenbar. Viel Wirbel also um die kleinen Demokratie-Aufkleber. Doch über wen sagen sie eigentlich mehr aus: über die Bücher, oder über diejenigen, die vor ihnen warnen?
(C) Siegmund Natschke
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