MÜNSTER. So etwas hatte es noch nie gegeben: Die Stadtbücherei Münster brachte in ihren eigenen Büchern Warnhinweise an, die sich von deren Inhalt distanzierten. Die kleinen Aufkleber haben große Wellen geschlagen – und am Ende gab es auch ein juristisches Nachspiel. Die Stadtbücherei Münster muss nun den viel diskutierten Warnhinweis von zwei Büchern wieder entfernen. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen entschieden – und damit einem der umstrittensten Sachbuchautoren Deutschlands Recht gegeben: Gerhard Wisnewski.
„Das ist ein wichtiger Sieg für die Meinungsfreiheit – und für alle Autoren und Verlage“, ließ Wisnewski gegenüber „Münster täglich“ verlauten. Und legte nach: „Ich bedaure, dass die Stadtbücherei Münster dieses Geschichtsbewusstsein hat vermissen lassen und sich im Namen des vermeintlichen Schutzes der Demokratie an der Demokratie vergangen hat.“
Der umstrittene Warnhinweis vor Gericht
Doch worum ging es eigentlich? Die Stadtbücherei hatte auf zwei Bücher einen Warnhinweis geklebt, und zwar mit folgendem Text: „Der Inhalt dieses Werkes ist unter Umständen nicht mit den Grundsätzen einer demokratischen Gesellschaft vereinbar.“ Betroffen waren Wisnewskis „2024 – das andere Jahrbuch“ und das Buch „Putin, Herr des Geschehens?“ von Jacques Baud. Beide Titel stehen in der Kritik, weil sie sich inhaltlich außerhalb des wissenschaftlich fundierten Mainstreams bewegen – oder ihn gezielt angreifen.
Die Stadtbücherei Münster warnt. Foto: Siegmund Natschke"Zensur!" oder "Kontextualisierung"?
Was die Stadtbücherei als „Kontextualisierung“ deklarierte, empfanden viele Leser anders. „Das ist betreutes Lesen!“, schimpfte ein Büchereikunde, der den Aufkleber entdeckt hatte. Und auch Wisnewski sah in der Maßnahme einen Angriff auf die Meinungsfreiheit – und klagte.
Mit Erfolg: Das OVG stellte klar, dass die Warnung nicht nur unnötig, sondern verfassungsrechtlich problematisch war. Der Hinweis verletze den Autor „erheblich, über Randbereiche hinausgehend“, so die Richter. Die inhaltliche Abwertung des Werkes sei „dazu bestimmt, eine anprangernde Wirkung zu entfalten“. Eine Bibliothek aber, so das Gericht, habe den Auftrag, „selbstbestimmte und ungehinderte Information“ zu ermöglichen – nicht sie zu steuern.
Politische Wellen
Schon vor der Gerichtsentscheidung hatte der Fall politische Wellen geschlagen. Yvonne Gebauer, kulturpolitische Sprecherin der FDP im Landtag NRW, warf der Stadtbücherei vor, sich zur moralischen Instanz aufzuschwingen: „Das ist ein Angriff auf die Meinungsbildung und ein Ausdruck einer bedenklichen Tendenz, die Mündigkeit der Bürger zu untergraben“, so Gebauer.
Die Stadt selbst äußerte sich in gewohnt nüchternem Ton. Es gebe „keinen Grund“, die betroffenen Autoren zu informieren. Die Entscheidung über Warnhinweise treffe man „im Lektorats-Team“, insbesondere wenn es „kontroverse Diskussionen in den Medien“ gebe oder Leser eine Prüfung wünschten.
Ein Autor mit Sprengkraft
Gerhard Wisnewski ist kein Unbekannter – und ganz sicher kein Konsensautor. Seit Jahren veröffentlicht er bei Verlagen wie Kopp oder Rubikon, seine Bücher über 9/11, Corona oder Geheimpläne der Eliten werden nicht selten als „verschwörungsideologisch“, reißerisch und „wissenschaftlich fragwürdig“ abgetan. Kritiker werfen ihm gezielte Desinformation vor, Fans feiern ihn als unerschrockenen Aufklärer. Dazwischen gibt es wenig.
Genau deshalb ist die OVG-Entscheidung so brisant: Sie schützt ausdrücklich auch die umstrittene Meinung. Und das Urteil hat es in sich. Wörtlich heißt es darin, die Bibliothek habe mit dem Hinweis „den ihr gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereich überschritten“. Öffentliche Bibliotheken dürften eben nicht „lenken“, sondern müssten Informationsfreiheit ermöglichen – auch dort, wo’s unbequem wird.
Wisnewski jedenfalls ist zufrieden: „Ich hoffe, das wird für andere Bibliotheken und Zensoren eine Warnung sein.“ Die Stadtbücherei wird die Hinweise nun entfernen: ".Die Stadt Münster wird die rechtskräftige Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes nun unverzüglich umsetzen und die Einordnungshinweise entfernen.", heißt es ganz offiziell von Seiten der Verwaltung.
Was bleibt?
Ein Aufkleber ist weg. Ein Urteil ist gefällt. Und eine Grundsatzfrage bleibt: Was dürfen öffentliche Einrichtungen kommentieren – und wo beginnt Bevormundung? Die Antwort des Gerichts ist eindeutig. Doch die Diskussion über Meinung, Deutungshoheit und Sensibilität im Umgang mit Information dürfte gerade erst in die nächste Runde gehen.
(C) Siegmund Natschke
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