Ich bin jetzt bald genau 15 Jahre im Lokaljournalismus. Ein Jubiläum, das mich sehr stolz macht.
Ich habe in dieser Zeit jede Menge erlebt, unzählige Termine gehabt, viele Menschen getroffen und vor allem: ganz viele Artikel geschrieben. Es sind über 10.000 geworden... Eine enorme Zahl, die mein Archiv groß werden lässt. Es sind darunter unheimlich starke und spannende Geschichten, die es lohnen, nochmal erzählt zu werden. Für „Münster täglich“ krame ich ein bisschen in diesem Archiv und hole die besten Geschichten aus fünfzehn Jahren nochmal hervor. Die gibt’s jetzt ab sofort in der neuen Serie „Meine besten Geschichten“ zu lesen: www.muenster-taeglich.de. Weiter geht’s mit Folge 18 und einer Zirkusfamilie, die an Heiligabend in Not gerät.
GIEVENBECK. Stalljunge Melano war der erste, der es gesehen hat. Wie jeden Morgen um 8 Uhr ging er zum Zelt mit den Tieren vom „Classic Circus Ideal“, der gerade am Gievenbecker Rüschhausweg gastiert. Wie immer wollte er dort die Pferde, Ponys und Kamele füttern. Doch dieses Mal war alles anders: „Die Tiere waren so unruhig.“ Dann schaute er nach oben: „Da war ein großes Loch. Ich habe mich richtig erschrocken.“ Der nächtliche Sturm in den ersten Stunden des Heiligabends hat seine sichtbaren Folgen: Das Tierzelt des Zirkusses ist zerstört.
Zirkusdirektor Francois Ideal kann es noch immer nicht fassen und schüttelt den Kopf: „Und das zu Weihnachten. Das ist doch der Wahnsinn.“ Er schaut sich immer wieder die 7m lange Lücke an, seine Sorge gilt dabei zuallererst den Pferden, Ponys und Kamelen, die hier ihren Unterstand haben: „Meine Tiere brauchen doch ein Obdach!“ Lange brauchte er nicht überlegen, er schritt sofort zur Tat. Kurzerhand ließ er das Restzelt zusammenziehen und quartierte dort Pferde und Ponys ein. Die Kamele kamen in einen Extrawagen. Ein Zustand, der nur behelfsmäßig ist. Francois Ideal setzte sich deshalb sofort ins Auto, fuhr bis nach Bremen, klapperte Zirkus um Zirkus ab: „Nur die haben so ein Zelt. Doch alle haben abgewunken.“ Scheinbar ist eine Neuanschaffung zumindest der Plane notwendig. Ideal schätzt die Kosten auf 10 000 – 12 000 EUR ein. Zuviel für die Artistenfamilie.
Vienna Ideal (li.), ihr Mann Serano Ideal (re.) und dessen Bruder Melano beschenkten sich zu Heiligabend. Doch viel Zeit blieb nicht: Immer wieder musste nach den Tieren geschaut werden. Foto: Siegmund Natschke.Dabei sollte es ein ruhiges und beschauliches Weihnachtsfest werden. „Wir wollten die Vorstellung um 14 Uhr machen und abends die Bescherung“, so Serano Ideal, der 22jährige Juniordirektor vom Zirkus. Die Heiligabend-Aufführung fiel nun aus, und auch sonst sind alle Familienmitglieder ausgeschwärmt, um das so dringend notwendige Zelt zu beschaffen. Bisher ohne Erfolg.
Vier Familien mit insgesamt achtzehn Personen umfasst die Zirkusfamilie. Tradition hat am Heiligabend das gemeinsame Essen im Küchenwagen. Mutter Janina Ideal tischt dann Gänsebraten mit Rotkohl auf, alle beschenken sich gegenseitig. Dieses Jahr fällt alles eine Nummer kleiner aus: „Wir haben erstmals auch keinen Tannenbaum“, sagt Serano, der in der Manege Handstände auf Stuhllehnen absolviert und am Ende der Show auch schonmal 6 m lange Stuhlstapel bis an die Decke des Zirkuszeltes balanciert.
Einige Vorstellungen sind bisher auch ohne Sturm ausgefallen, alle Hoffnungen hatte die Zirkusfamilie deshalb in die Aufführungen zu Weihnachten gesetzt. Doch ausgerechnet jetzt kam das Unglück. Der Deutsche Wetterdienst meldete „orkanartige Böen“, und die merkt man gerade im Zirkuswagen sehr deutlich: „Alles hat geschwankt“, so Serano Ideal, „wir haben nur zwei Stunden geschlafen“. Heiligabend hatte sich die Zirkusfamilie ganz anders vorgestellt: „Wir wollten so schöne Weihnachten haben“, sagt Vienna Ideal, die Frau von Serano traurig. Ironisch fügt sie hinzu: „Das ist ja eine Bescherung für uns.“
Doch auch von Katastrophen lässt sich die tüchtige Zirkusfamilie nicht davon abbringen, das Fest zu begehen. „Wir beschenken uns gegenseitig, auch wenn die Geschenke diesmal ein wenig kleiner sind“, so Serano. Zunächst mache jede Familie ihre eigene kleine Bescherung, erklärt seine Frau. Dann kommen alle zusammen und feiern gemeinsam. Nur dieses Mal ist alles anders. Besonders Zirkusdirektor Francois Ideal schaut immer wieder besorgt nach seinen Tieren, gibt Familienmitgliedern Anweisungen, was zu tun ist, damit es den Vierbeinern gut geht. „Wir behandeln Tiere wie Menschen“, sagt er bestimmt.
Er sagt aber auch: „Wir sind auf die Hilfe der Leute angewiesen.“ Ohne ein Zelt für die Tiere kann es nicht weitergehen. Der Familienzirkus hofft auf die Spende einer solchen Plane oder aber auf vollbesetztes Haus. Futter kriegt der „Zirkus Ideal“ derzeit noch von umliegenden Bauernhöfen. Und Francois Ideal sagt fest entschlossen: „Eher esse ich selber nichts mehr, als dass meine Tiere nichts mehr zum Fressen bekommen.“
(C) Siegmund Natschke
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