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Paris in den 50ern – eine Zeitzeugin erinnert sich

 MÜNSTER/PARIS. "Ich weiß noch: Ich war 16 und hatte genau 60 DM für meine Reise nach Paris, die ich mir vorher in einer Gärtnerei in den Sommerferien verdient hatte.", erinnert sich eine heute 83jährige Münsteranerin an eine Reise zur Stadt an der Seine im Jahr 1957, die ihr bis heute unvergesslich ist. Den Betrag, der ihr für die Paris-Tour zur Verfügung stand, hatte sie sich mühselig verdient: "Der Stundenlohn betrug damals 60 Pfennig. Meine Schwester und ihre Freundin, die beide zwei Jahre älter waren als ich, hatten jede auch 60 DM. Sie hatten wie ich ebenfalls in der Gärtnerei gearbeitet." Die Arbeit war kein Zuckerschlecken. Unkraut, das in langen Reihen stand, musste mit der Harke entfernt werden, wobei ein Aufseher immer geschrien habe: "Schneller, schneller!" Schließlich gab es den verdienten Lohn, und dann war da noch ein Traum: "Unser gemeinsames Ziel war ´Paris und weiter´. Wir trampten, das war unter Jugendlichen üblich zu der Zeit. Wir sind immer nur zu dritt in ein Auto gestiegen, schnell kamen wir in Paris an. Schon von weitem sahen wir den Eiffelturm.

                  Paris- der Eiffelturm. 
                        Zeichnung: Umtriebpresse.

 Dort wollten wir hin. In einer Bäckerei am Eiffelturm kauften wir uns jede ein  großes Baguette, Wasser hatten wir im Rucksack. Wir setzten uns auf die Stufen des Eiffelturms und aßen das leckere Brot. Eine obdachlose, ältere Frau setzte sich zu uns und guckte so sehnsüchtig auf unsere Baguettes. Da habe ich ihr das halbe von mir geschenkt. Sie aß und trank Wasser mit uns. Nach einer Stunde verabschiedeten wir uns und zogen weiter. Wir kamen an eine kleine Straße, wo die Leute alle draußen ihre kleinen Tassen Kaffee tranken. Wir sind in eines der Cafés gegangen und haben uns auch jede eine gegönnt. Die kostete damals umgerechnet 3 DM. "Ohne Milch und Zucker, aber sie hat geschmeckt!" In der Stadt sei alles ganz friedlich gewesen: "kein Vergleich zu heute." Die Zeit verging schnell: "Am späten Nachmittag fingen wir an zu überlegen, wo wir wohl übernachten sollten. Da haben wir an die Tür eines Klosters geklopft." Dort durften die drei umsonst übernachten. "Am nächsten Tag schauten wir uns dann Paris genauer an. Wir staunten vor allem über die U-Bahnen, die wir damals nicht kannten, weil wir bis dahin nicht aus Münster herausgekommen waren.", sagt die heute 83jährige: "Dann kamen wir zu einem Park. Dort standen Stühle, doch man musste erst einen Stuhl mieten, sonst durften wir nicht in den Park gehen. Das wollten wir nicht, und so sind wir weitergezogen." Wie ging es weiter? "Wir haben große, mehrstöckige Häuser gesehen. In jedem Haus saß unten eine Hausmeisterin.. Diese Concierge passte auf die Häuser auf und hat nur reingelassen, wer da auch wohnte. Aber wir wollten gar nicht rein. Wir sind weiter Richtung Süden von Paris gegangen." Und so erzählt sie weiter:"Wir staunten über die Franzosen, die draußen ihren Mittagsschlaf hielten. Sie saßen einfach vor der Tür und schliefen. Unser Ziel war möglichst weit in  den Süden zu kommen, da wir dort auf warmes Wetter hofften. Wir waren inzwischen in den Regen gekommen, und wir froren. Im Süden sollte es doch so warm sein. Unterwegs schliefen wir in Jugendherbergen für 50 Pfennig die Nacht. Unsere Personalausweise mussten wir abgeben – bis wir geputzt hatten. Putzfrauen gab es nicht. Die Jugendherbergen waren zu der Zeit noch sehr einfach, acht Leute waren in einem Raum untergebracht. Es gab nur harte Decken zum zudecken. Die Waschanlagen waren nicht im Haus, sondern draußen. Es gab nur kaltes Wasser. Frühstück gab es auch nicht. Wir kamen schnell vorwärts – immer weiter in den Süden. Wir kamen schließlich bis nach Lourdes, dem Wallfahrtsort. Da gab es riesige Zelte, in denen bis fünfzig Leute schlafen konnten. Leider hatte ich ein Zelt erwischt, in dem es durchregnete. Ich bin morgens vor Nässe aufgewacht. In Lourdes haben wir an einer Prozession teilgenommen - immer um die heilige Stätte herum. Mir gefiel nicht so gut, dass es an die hundert Wasserhähne gab, an denen sich jeder angeblich geweihtes Wasser holen konnte. Das war für mich zuviel Kommerz.  Wir mussten uns bald auf den Rückweg machen, weil die Ferien zu Ende gingen. Wir trampten durch Dörfer nach Hause. Die Franzosen waren alle sehr freundlich, auch ihre Familien. Sie kamen aus ihren Türen heraus und fragten uns immer, wo denn die Reise hinginge. Wir durften mit ihnen essen.  Für uns ging es weiter von Jugendherberge zu Jugendherberge. Eine bestand nur aus dreißig, vierzig kleinen Zelten. Unser Zelt war so klein, dass ich mich lieber daneben legte. Ich habe im Gras geschlafen. Unser Geld ging aber bald zuende. Da haben wir meine Tante in Duisburg besucht, bei ihr durften wir auf dem Dachboden schlafen - auf Gartenliegen.Sie war eine weltliche Nonne und arbeitete in einem Obdachlosenheim. Sie brachte uns zu einem Lastwagen, dessen Fahrer uns bis nach Hause fuhr." Und so endete die Tour. "Die Reise war für uns beeindruckend, ein Erlebnis!", meint die heute 83jährige. Insgesamt drei Wochen seien die jungen Frauen unterwegs gewesen. Heute sei Paris eine Weltstadt, in der Olympia stattfinde.  Damals sei alles noch kleiner und ländlicher gewesen. "Damals war Paris eine Stadt der Träume", sagt sie. Und heute? Da überlegt sie lange, bis sie sagt: "Eine Stadt der Ereignisse."

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