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Wie lange noch, WN?

 MÜNSTER. „Quo usque tandem abutere patientia nostra?“ Das war Latein. Es gibt kaum ein berühmteres Zitat aus dem alten Rom als diese Anklage von Cicero, der dem  Aufrührer Catilina entlarvend fragte: „Wie lange willst Du noch unsere Geduld missbrauchen?“ Kaum ein Zitat dürfte indes treffender sein, um den derzeitigen Zustand der „Westfälischen Nachrichten“ (WN) und der Münsterschen Zeitung (MZ), die jeweils textgleich berichten, zu charakterisieren.

Denn viel Geduld brauchen zweifellos auch die Leser dieser Zeitungen. Immer weniger erfahren sie vom Geschehen in ihrer Heimatstadt.  Wichtige Ereignisse und Themen finden in der Tageszeitung schlichtweg nicht mehr statt, Vereine und Institutionen haben immer größere Probleme, Erwähnung zu finden. Während früher stets sogar mehrere Journalisten zu Terminen kamen -von der MZ und von der WN- ist jetzt meistens keiner mehr da. Die WN druckt lieber für sie kostenlose Pressemitteilungen ab, so dass der Inhalt der einst so stolzen Regionalzeitung immer dünner wird. Das merken auch die Leser. Und so ist es kein Wunder, dass die Auflage derzeit in sich zusammenbricht.

Im 3. Quartal 2023 erreichte die Auflage  der Hauptausgabe der Westfälischen Nachrichten und der Münsterschen Zeitung inklusive der Emsdettener Volkszeitung (!) nur noch  ganze 76.705 Exemplare. Das entspricht einem Rückgang von 6,3 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum im 3. Quartal 2022. Diese offiziellen Zahlen stammen von der Informationsgesellschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern(IVW), deren Daten in der Branche Aufsehen erregen. Der Abwärtstrend zeigt sich besonders deutlich, wenn man ihn mit den Zahlen von vor einigen Jahren vergleicht.  Allein die WN hatte stets eine Auflage von über 100.000 Exemplaren, die MZ zeitweise über 40.000. Im 4. Quartal 2017 wurden noch 99.295 Exemplare für die Gesamtauflage der WN/MZ verzeichnet, was bereits damals desaströs war.

Die Situation sieht übrigens auch bei anderen Verlagshäusern in der Region nicht besser aus. Das in Bielefeld erscheinende Westfalen-Blatt, das ebenfalls zur Aschendorff -Gruppe gehört, verlor 5508 Abonnenten und erreicht nur noch eine Auflage von 73.190 Exemplaren - ein Minus von sieben Prozent.

So wenig überraschend die Entwicklung für Beobachter ist, so wirft sie doch Fragen auf – nach der Situation des Aschendorff-Verlages und der Zukunft der einzig verbliebenen Tageszeitung mit eigener Redaktion in Münster – nämlich der „Westfälischen Nachrichten“. Dass es dort nicht unerhebliche Probleme gibt, ist schon seit Längerem offensichtlich. So wurde bereits 2020 für die Beschäftigten der WN Kurzarbeit eingeführt, gleichzeitig gab es einen Auftragsstopp für Freie. Leser wunderten sich über die vielen langweiligen Pressemitteilungen im Blatt und die deutlich gekürzte Stadtteil-Berichterstattung. Der damalige Chefredakteur Norbert Tiemann sprach von einem Einbruch der Anzeigenerlöse um 40 Prozent. Inzwischen dürfte die Energiekrise zu einer weiteren Verschärfung der Situation beigetragen haben. Die Verknappung der Inhalte hat zudem viele Leser verärgert. In anderen Regionen Deutschlands gibt es bereits Gebiete ohne Tageszeitung. Wird dies auch bald in Münster der Fall sein? 

Ein Insider gibt Antworten, die „Münster täglich“ vorliegen. Er sagt: „Die WN will nicht mehr erfolgreich sein. Sie wollen das teure Print-Produkt loswerden.“ Als Gegenbeispiel nennt er die „Neue Osnabrücker Zeitung (NOZ). Die habe ja auch investiert. Die WN dagegen habe nur gekürzt und geschrumpft: “Und im Gegenzug werden alle drei Monate die Abopreise hochgeschraubt.“ Er schüttelt mit dem Kopf: “Neinnein, die nehmen das einfach in Kauf. Die wollen das nicht mehr als wirtschaftliches Produkt.“

Eine explosive Aussage.

Werden die WN also bewusst gegen die Wand gefahren?

Zu diesem Befund würde die Tatsache passen, dass sie so gut wie keine hauptberuflichen freien Journalisten mehr beauftragen, im Gegenteil sogar Auftragsstopps für diese verhängt werden. Der Interessenverband der Freien, die „Freischreiber“, konstatiert denn auch: “Zeitungen, für die kein ausgebildeter Journalist, keine ausgebildete Journalistin mehr arbeitet, werden früher oder später sterben.“ Und: „Das schwächt den Journalismus als Pfeiler der Demokratie, an den wir glauben und den wir stützen möchten.“ 

Es scheint tatsächlich nicht mehr lange zu dauern, bis das Ende der Zeitung in dieser Stadt besiegelt ist. Und so bleibt nur noch eine Frage übrig: „Wie lange noch, WN?“ 

Wie lange wird es die WN noch geben? Foto: Siegmund Natschke



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